Herr Dekan Hans-Frieder Rabus begrüßte herzlich die Gemeinde zum Jubiläums-Gottesdienst. Herr Dekan Joachim Harner hielt Rückblick über die vergangenen 10 Jahre der Ökumenischen Hospizinitiative und bedankte sich herzlich bei allen für ihre Hilfe und ihre Bereitschaft.
Frau Sabine Horn wies in Zahlen auf die Begleitungen der sterbenden Menschen und deren Angehörige und Freunde hin. Sie erwähnte die derzeit 22 ambulanten Hospiz- und Sitzwachengruppen im Landkreis Ludwigsburg und das stationäre Hospiz in Bietigheim-Bissingen.
Die Predigt hat Herr Dekan Hans-Frieder Rabus gehalten und ist wie folgt nachzulesen.
Herr Dekan Rabus und Herr Dekan Harner beauftragten und segneten dreizehn neue Ehrenamtliche als Hospizbegleiter. Sie wiesen dabei auf die schwere und notwendige Aufgabe hin, die sie ab heute übernehmen. Es geht um Gottes Geist und um Gottes Segen, der durch ihr Tun wirksam werden soll.
Umrahmt wurde der Gottesdienst vom Stadtkirchenchor Ludwigsburg.
Gisela Bura
Apg 16, 25-34 Kantate/Hospiz
Singen befreit, das haben Menschen schon immer gespürt. Wenn Sie von der Chorprobe heimkommen, sind Sie trotz aller Ermüdung nach konzentriertem Singen durchblutet und erfrischt. Wenn ein Kind abends Angst hat, singt die Mutter ein Schlaflied, - "dies Kind soll unverletzet sein" - und die Schatten der Seele weichen. Die Reformation kriegte ihre Wirkung durch das Singen der neuen Lieder: "Nun freut euch, lieben Christen g"mein." Die Arbeiterbewegung macht singend Mut zum Klassenkampf: "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit." Die schwarzen Sklaven in Amerika halten singend die Hoffnung auf Befreiung wach in ihren Spirituals: "Sag dem alten Pharao: let my people go!" Singen befreit, manchmal sogar ganz wörtlich. Das hören wir heute von Paulus und seinem Begleiter Silas. Die waren in Philippi eingelocht worden, weil sie Frauenausbeutern das Geschäft verdorben hatten. Sie hatten eine Frau von einem quälenden Wahrsagegeist befreit, die damit ihren Herren viel Geld anschaffen musste. Dafür saßen sie im innersten Sicherheitstrakt und waren zudem noch mit den Knöcheln angekettet.
"Um Mitternacht aber?"
Da möchte ich wissen, was die beiden gesungen haben in der Zelle. Das Lieblingslied aller Gefängnisinsassen - "Tut mir auf die schöne Pforte??" So leicht und schnell geht es nicht immer. Aber die Richtung und Kraft dieser Geschichte will auch unsere werden. Wer kennt das nicht, dieses Gefühl von Not und Wut auch manchmal: Ich will hier raus!? Ich bin eingesperrt, eingezwängt und halte es bei mir selbst oder bei anderen nicht mehr aus. Das muss keine Schloss- und Türanlage wie auf dem Hohenasperg sein. Stärker noch als durch äußere Gefängnismauern sind wir manchmal gefesselt durch körperliche oder seelische Zwänge, die uns den Weg zum Leben versperren. Sie in der Sterbebegleitung könnten erzählen, wie Menschen manchmal geplagt sind durch nacktes Leiden und unentrinnbare Schmerzen. Zum Aus-der-Haut-Fahren, wie man so sagt. Ich muss hier raus! Das Gefängnis meines Körpers, der nur noch leidet und mich quält, verlassen. Und genau das kann ich nicht. Gefangen, bis der Tod ein Ende macht. Ist er die Tür zur Freiheit? Manche halten sich an dieser Hoffnung fest. Andere sagen: dann ist eben alles vorbei, das Leben, aber auch die Schmerzen. Und Sie als Sterbebegleiterinnen, wir als Angehörige oder jederzeit auch unvermutet Betroffene, wir können viel und wenig zugleich hier tun. Dabei sein und das mit Aushalten, das ist, wie wenn man einem ins Leiden eingesperrten Menschen den Türspalt offen hält: du bist nicht ganz allein. Schmerzen lindern, auch durch moderne Schmerztherapien, gut zureden, trösten, einfühlsam und nicht von oben herab ein Bibelwort sagen - das ist wie ein Vogel, der aufs vergitterte Fenster sitzt und vom Leben kündet in die Zelle herein. Auch gar nichts sagen können, weinen müssen, mitweinen - dann sind"s immer-hin zwei, deren Seele schreit: Ich will hier raus. Und das gibt Mut, es weiter durchzustehen. Mit einem Menschen an der Seite.
Als unerbittlichstes Gefängnis entpuppt sich für manche der eigene Lebensweg mit seinen Versuchen und Krisen. Du kannst dir selbst nicht entrinnen, das wird vielen zum ersten Mal in der Lebensmitte bewusst. Da entdeckst du, wie du geworden bist mit deinen Prägungen und Defiziten. Da spürst du, wie in der zweiten Lebenshälfte die Zeit knapper wird, einem Ende zurinnt. Und du fragst dich: lebe ich selbst oder leben mich andere? Sind meine Wertigkeiten richtig, oder habe ich mein Herz an Dinge, Menschen, Taten gehängt, die mich nicht durchtragen können? Und kann ich noch umsteuern? Manche leiden darunter, dass ihnen immer wieder ihr Temperament einen Streich spielt oder dass immer wieder etwas hochkommt, was einem früh im Leben vorenthalten war oder durch Schicksal oder Menschen zugefügt wurde. Man möchte ein anderer Mensch werden, das Leben anders angehen - und landet so oft wie bei einer Schallplatte in derselben Rille. Gefängniserfahrung, eingeschlossen bist du in dich selber.
"Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott." Gerade dann, wo die Nacht am dunkelsten ist. Wie haben die das geschafft, was hat ihnen das Herz und den Mund geöffnet zum Gotteslob mitten im Gefängnis? Ich vermute, sie sind durchdrungen von einer unsichtbaren Kraft, einer Präsenz, die durch alle Mauern dringt. Sie wissen den an ihrer Seite oder in ihrem Herzen, der aus dem Gefängnis aller Gefängnisse freikam, aus dem Grab. Christus, der auferstanden ist von den Toten. Vielleicht ist es sogar so, dass er selbst in ihnen singt, indem sie ihm ihre Lieder singen. So wie Menschen oftmals über die Ferne und über trennende Mauern innigst miteinander verbunden sein können, und die Regung des einen ist der Gedanke des andern. Trauernde kennen so etwas noch über den Tod hinaus; Liebende, die nicht mehr aus sich selbst heraus nur leben; Abschiednehmende an Sterbebetten, - auch jenes blitzartige Verbundensein in Gewissheit und Not, von dem manche Mütter oder Bräute aus bangen Kriegserfahrungen erzählen, als zur Todesstunde des Mannes an der Front zuhause sie ein Wissen, Erschrecken, Erahnen durchzuckt hat. Das gibt es, dass ein anderer Mensch in meiner Seele wohnt und aus mir spricht oder singt. Wir nennen das Christus, solches Einwohnen, solch ein Dasein der Kraft, die mich nicht mehr immer nur mich selbst sein lässt. Und ohne dass wir es merken, ist durch dieses Einwohnen das harte Gefängnis meines Ichs aufgesprengt, - nein, keine gewaltsamen Worte dafür, sondern zart und heilig aufgetaut mein gefangenes Ich. Liebend aufgelöst mein Ich-sagen, Ich-leiden, Ich-wollen, Ich-sorgen und ängsten. Freiheit, sie beginnt innen. Mit der Befreiung von deinem eigenen Ich.
Das äußere Erdbeben, das dem befreiten Singen und Beten der beiden folgt, meint ebenso das innere Beben, dass die Mauern unserer Selbstverständlichkeiten übereinander stürzen. Ohne Einsturz wird nichts neues, ohne Beben ist jene große Freude nicht zu haben, die erstmals der Engel den Hirten verkündet hat ebenfalls mitten in der Nacht, und die nun den Gefängnisaufseher ergreifen will. "Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?" fragt er seine beiden Gefangenen und redet sie erschrocken-staunend plötzlich als Herren an. Halten wir diese Frage fest und bewegen sie in unserem Herzen. Es ist eine unendlich kostbare Frage, die jener Aufseher uns schenkt. Es ist die innere Wendung, mit der ein Mensch offen wird für den hinreißenden Sog und die Sehnsucht, die unsern Lebensweg hineinzieht in den Christusweg. Die Mönchsväter der frühen Kirche haben keinen aufgenommen in die besondere Christen-Lehre ihrer Mönchszelle, der nicht diese Frage von Herzen gestellt hat: "Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?"
Antwort: Nichts tun im Sinne von machen, sondern lassen. Deine Vorstellungen, wie dein Leben laufen muss - lassen. Deine Ansprüche an Mensch und Gott - lassen. Dein Kreisen um dich selbst in Lust und Leid - lassen. Dein geübtes Urteilen, das Mauern zieht zwischen dir und dem andern - lassen.
Die Wege, wie ein Mensch das lernen darf, sind verschieden. Für den einen ist es die Mönchszelle. Für den anderen ist es die Einsamkeit des Unverstandenseins. Für den dritten ist es die Gefängniszelle. Der vierte gibt sein Ich dahin in selbstlosem Dienen. Allemal führt der Weg in die Freiheit. Eine Befreiungskraft, stärker als Gefängnismauern und Grabsteine. Sie macht unsere Seele frei, Gott unter allen Umständen zu loben. Darum wollen wir jetzt nachbuchstabieren, wie das Lied und Gebet eines anderen Gefangenen lautet. Es war ihm und manchen Mithäftlingen die Brücke zum Leben, mitten in der Finsternis. Der gefangene Dietrich Bonhoeffer lehrt uns beten:
EG S. 1203
Vater im Himmel,
Lob und Dank sei dir für die Ruhe der Nacht,
Lob und Dank sei dir für den neuen Tag.
Lob und Dank sei dir für alle deine Güte und Treue
in meinem vergangenen Leben.
Du hast mir viel Gutes erwiesen,
lass mich nun auch das Schwere
aus deiner Hand hinnehmen.
Du wirst mir nicht mehr auflegen, als ich tragen kann.
Du lässt deinen Kindern alle Dinge zum Besten dienen.
Herr, was dieser Tag auch bringt -
Dein Name sei gelobt. Amen.