18.04.2006
Zum dritten und letzten Vortrag von Herrn Paul Reiner Zeck waren dieses Mal 55 Gäste gekommen, um sich gleich zu Beginn von der Erzählung durch den Referenten gefangen nehmen zulassen, nämlich dass ein Bäckermeister in Tübingen jeden Menschen, der ihm auf der Straße oder in seinem Laden begegnet, mit den Worten: "Auch unterwegs?" begrüßt und anspricht.
Ja, "auch unterwegs", das sind wir immer, denn die Zeit nimmt uns mit, egal ob wir noch nicht laufen können, oder am Ende des Lebens nur noch im Bett liegen können, so führte Herr Zeck in das Thema ein. Die Zeit nimmt uns mit, das heißt, wir können sie nicht anhalten oder zurückdrehen, während wir Wege durchaus zurückgehen können. Anschauen können wir Dinge rückblickend, aber wir können sie nur anschauen, denn in denselben Fußstapfen noch einmal zu gehen, das geht nicht. Dabei läuft die eigene, innere Zeit in einem anderen Maß, wie die äußere Zeit, und das passt oft nicht zusammen. Herr Zeck benutzte das Bild eines dahin fließenden Flusses, der stetig und ohne unser zutun fließt. Der Fluss der Zeit. Wenn wir uns nun vorstellen, dass wir als Menschen an diesem Fluss entlanggehen, dann wird ein Kind etwa, schneller sein, als das Wasser im Fluss, so schnell ist seine Entwicklung. Als Erwachsener wird irgendwann der Punkt sein, wo man gleichschnell und im Einklang mit dem Fluss der Zeit geht und lebt, doch dann wird der Mensch langsamer, als die Fließgeschwindigkeit des Wassers. Und auch wenn der Mensch dann irgendwann ganz zum Liegen kommt und stirbt, das Wasser des Flusses, oder die Zeit, sie gehen weiter. Beide Zeiten, die innere wie die äußere laufen weiter, das ist ihnen gemeinsam, aber nur die kürzeste Zeit im Leben geschieht dies parallel.
Dies geschieht alles mit uns. Wir können es nicht aktiv beeinflussen, aber wir können es gestalten.
Jeder von uns ist im Leben angetreten, um seinen Weg zu gehen, aber diesen Weg gibt es noch nicht, zumindest nicht vor uns. Die Zukunft ist noch leer, man muss einen, seinen Weg einschlagen und ihn bahnen. Lediglich hinter uns liegt ein Stück Weg, auf das wir zurückschauen können. Im Gehen, im Schritt, ergibt sich mein Weg, und ein anderer Mensch kann zur selben Zeit nicht auf und an der gleichen Stelle sein. So ist mein Weg, nur mein Weg. Es wäre traurig, würden wir uns auf unserem Weg wie Marionetten herumschieben lassen oder sagen, unser Weg sei komplett vorgezeichnet, wenn wir uns nur treiben ließen. Nein, nur dann, wenn wir bewusst den Weg selbst mitgestalten, dann wird es auch der unverwechselbare Weg eines Menschen, wird es mein Weg. Dabei müssen wir immer wieder Wahlen treffen und uns dem Abenteuer "Leben" stellen, aber wir sollten sagen können, "I"m on my way!"
Wenn ich dabei mit einer Leichtigkeit gehe, dann kann es eine gute Wanderschaft werden.
1. Wie rüste ich mich für meine Lebenswanderung?
Wer auf eine Wanderung geht, der nimmt so wenig Gepäck wie möglich mit. Im übertragenen Sinne, wie viel Verantwortung, wie viel unnötige Sorgen und Päckchen lade ich mir auf? Unser Wandern wird zu schwer, wenn wir zu viel mitschleppen. Also, sich nicht zu sehr beschweren lassen, loslassen, abwerfen und den Ballast zurücklassen. Das ist viel leichter gesagt, als getan, und Vieles können wir auch nicht loswerden und zurücklassen. Aber es geht um die innere Haltung der Leichtigkeit. Das Märchen von "Hans im Glück" könnte uns dabei ein Vorbild sein.
Einzelne Wandertage oder -wochen mögen so leicht sein und uns so gelingen, aber insgesamt wird der Lebensweg eher nicht leicht sein. Mehr oder weniger werden wir mit Päckchen beladen. Dabei nicht neidisch auf Andere sehen, denn wir wissen zu wenig von ihnen und ihrem Leben, als dass wir beurteilen könnten, ob sie weniger zu tragen und schleppen haben als wir.
Die Frage "Warum ich?" tritt dabei sehr oft auf. Sollten wir sie nicht anders stellen und uns fragen, "Warum gerade ich nicht?" Das Paradies bauen wir hier nicht, und unser Schicksal bleibt die Erde, die Dornen und Disteln trägt. Damit bleibt die quälende Frage "warum?" stehen und ist die Grenze für etwas, was unser Geist nicht fassen kann. Deshalb müssen wir das große "warum?" stehen lassen und es (mit-)aushalten.
Und dennoch sollten wir es uns immer wieder leichter machen und Ballast abwerfen.
2. Rasten und ruhen
Kein Wanderer kann ununterbrochen unterwegs sein. Er braucht Rast zur Erholung und um sich neu zu orientieren. Dies gilt für die Wanderer in der Welt und in der Zeit.
Zum Ruhen dient die Nacht, und ein Innehalten ist wichtig, um sich neu zu orientieren, um sich umzuschauen, wo man sich gerade befindet, bevor man den Weg weitergeht. Dies ist sehr wichtig, denn der Weg entsteht ja erst unter den Füßen. Sich so nebenbei zu orientieren, das geht nicht, ist aber zugleich in großes Problem in unserer hektischen Welt.
Sich morgens zum Beispiel eine stille Zeit zum Sortieren nehmen, das tut gut für mein Werk, meine Beziehungen und mein Befinden. Das kann der Kompass für den Lebensweg sein.
Ist der Kompass unser Gewissen?
Worin das Gute besteht, weiß das Gewissen nicht automatisch, nur in der Bindung mit Erlebtem (wie uns unsere Eltern, Sozialisation, Normen, ? geprägt haben). Wir tragen nicht nur für unser Gewissen Verantwortung, sondern auch vor unserem Gewissen.
"Unsere Seele niemals auf den Rücken eines Anderen binden, denn wir wissen nicht, wohin er sie trägt!"
Also nicht mit dem Strom einfach mitschwimmen, sondern immer prüfen, was meins (mein Leben) gerade ist.
3. Sich erheben nach der Ruhe, der Aufbruch
Sich nach der Rast und Ruhe immer wieder zu erheben, neu aufzubrechen, das gehört unser Leben lang, bis zu unserem letzten Niedersinken dazu. Und es ist so, dass viele Sterbende am Ende ihres Lebens von einem Aufbruch, einer Reise, vom Koffer packen, vom Schuhe anziehen, ? reden. Wir nennen das die Symbolsprache der Sterbenden, denn sie spüren längst etwas und sind im Aufbruch begriffen, treten ihre letzte Reise an.
Der Tod ist nicht das Ziel unseres Lebens! Ein Ziel strebt man an, und den Tod können wir schneller haben, als mühsam den ganzen Lebensweg zu gehen. Der Tod ist nur das Ende unseres Lebens auf dieser Welt. Der Tod ist das Ende unseres Lebens hier, aber nicht das Ziel.
4. Aus dem Wandern wird ein Pilgern
Pilgern bedeutet, man hat ein Ziel, und auf dem Weg dorthin, bereitet man sich auf das Ziel vor.
Die Vorstellung von einem richtenden Gott kann uns daran hindern, fröhlich zu pilgern. Und trotzdem, sich immer wieder dem Wissen um das Ende unserer Wanderung stellen.
Im Deutschen Requiem von Johannes Brahms finden wir dazu die Vertonung zu dem Text: "Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss."
Jeder von uns wandert zwar seinen eigenen Weg, aber auf einer Erde, die uns trägt und in Gemeinschaft mit der ganzen Schöpfung.
In der Sterbebegleitung heißt das: der Weg des Sterbenden ist nicht unser eigener Weg, aber es ist ein geschwisterliches Miteinander. Nähe und Distanz sind gleichzeitig vorhanden.
Wer sich nur selbst verwirklicht und nur bei sich bleibt, der verliert sich. Nur der Blick und der Entschluss über uns selbst hinaus, ermöglichen uns selbst.
Schön wäre es, wenn wir ein gemeinsames, fröhliches Wandern und pilgern im Kosmos hinbekämen.
Auch dieser Vortrag war wieder mit passenden Musikbeispielen, die die davor genannten Gedankengänge aufnahmen unterbrochen, zum Innehalten und Nachdenken.
Sabine Horn